
Hotelzimmer, zehn Uhr abends. Draußen – ein breiter Boulevard, es ist dunkel, nur vereinzelt geht jemand vorbei. Ein Auto fährt vorbei, ein weiteres. Sirenengeräusche – entweder vom Krankenwagen oder von der Polizei. Der Portier – jung, offen und lachend, anders als die gewohnten Portiers mit ihren höflich-grinsenden Masken, gibt den Rat, nicht für die Tiefgarage zu bezahlen und das Auto draußen über Nacht stehen zu lassen – schließlich sei morgen Sonntag, an dem die Parkplätze kostenlos sind, es gibt genug Platz und es ist völlig sicher. Das Bedenken des Gastes wegen der nahegelegenen Bar läßt den Portier schmunzeln. Er sagt, dass die betrunkenen Gäste, die aus der Bar kommen, vielleicht nur auf der Motorhaube sitzen könnten, aber dass in Luxemburg jemals jemand die Autoscheibe einschlägt – niemals! Das Kinn des Portiers hebt sich, das Lächeln verschwindet, was darauf hinweist, dass die Sorgen des Gastes übertrieben sind, und die Statistik lügt nicht, da Luxemburg konstant den ersten Platz in der Rangliste der sichersten Städte der Welt einnimmt. Ein drittes Auto fährt vorbei, jemand torkelt aus der Bar. Niemand sitzt auf der Motorhaube. Die Beine schmerzen von der Müdigkeit, die Augen werden schwer, der Schlaf überkommt einen.
Früh am Morgen wecken der Lärm der Straße und laute, unruhige Stimmen. Es ist die Gruppe von jungen Männern, etwa achtzehn Jahre alt – sechs Personen. Einer von ihnen liegt auf dem Bürgersteig, nur wenige Schritte vom Café entfernt, die anderen blicken nervös um sich. Der aktivste von ihnen, ohne Oberteil, spricht mit lebhaften Gesten in sein Handy. Der morgendliche Septembernebel und 11 Grad betonen seine trainierten Muskeln noch mehr. Ein gut gekleidetes junges Paar, das vorbeigeht, fragt nach dem Vorfall, der halbnackte Junge erklärt etwas, und das Paar geht weiter. Wenige Sekunden später fährt ein Krankenwagen vor. Der liegende Mann wird vorsichtig aufgehoben und in das Fahrzeug gebracht. Der aktive Junge zieht ein T-Shirt an und steigt ebenfalls in den Krankenwagen, die anderen zerstreuen sich schnell.
Das Hungergefühl erinnert an das Frühstück. Es war keine Kellnerin, es war die Hüterin des Frühstücks. „Bonjour“, sagte sie freundlich und melodisch. Sie war etwa fünfundfünfzig, vielleicht einmal schön, gekleidet in dunkle, unauffällige Kleidung. Ihr Gesicht trug die Einsamkeit, mit der sie sich abgefunden hatte. Der starke, berauschende Duft von heißen Croissants und Kaffee erfüllte den Raum, während die beunruhigende, überschäumende Komposition von Vangelis erklang. Im leeren Raum saß an einem Tisch für vier Personen nur ein Gast, wie aus einer anderen Welt – düster, mit zerzaustem Haar, das linke Auge mit einem Verband bedeckt. Das gedämpfte „bonjour“ der Hüterin fügte sich in den Surrealismus des Raumes – mit seinen leisen Geräuschen, zarten Gerüchen und phantasmagorischen Bildern. Hohe Decken, schwere Vorhänge an riesigen Fenstern, antike Möbel, Tee in antiken Tassen, das laute Rascheln von Zucker, der aus einem Papierpäckchen in den Tee gleitet, das Klirren des Löffels gegen das Porzellan in der Stille. Vor dem Fenster lehnte ein Mädchen, zu ihr kamen drei Jungs, alle betrunken. Zwei von ihnen umarmten sich, ihre Schädel waren mit Mustern rasiert. Der dritte hob das Mädchen auf, und die Gruppe lachte und ging weiter.
Nach dem Frühstück flogen die Bilder der Notre-Dame-Kathedrale, des Palastes der großen Herzöge im maurischen Stil, des Reiterdenkmals von König und Großherzog Wilhelm II., der Skulptur der grazilen Großherzogin Charlotte, des Guillaume-Platzes — benannt nach Großherzog Willem II., sowie der engen, menschenleeren Fußgängerstraßen an einem vorbei. Das kleine Gebäude des Nationalmuseums wurde in einer halben Stunde nur von drei Besuchern beachtet — möglicherweise aufgrund der vorübergehenden Schließung mehrerer Ausstellungsräume für die Malerei wegen Renovierungsarbeiten. Die Oberstadt war in einen trägen Schlaf gehüllt, wie ein verzaubertes Reich. Die fast provinziell anmutende Ruhe und gemächliche Atmosphäre wurden von den hohen Preisen in den Restaurants und den köstlichen Törtchen im Bistro wettgemacht. Der zweistöckige Souvenirladen, strategisch günstig für den Verkauf gelegen, bot ausschließlich handgefertigte Waren an — Drahtringe, Broschen mit Katzenmotiven, Stofffrösche mit erstaunt geöffneten Augen aus verschiedenen Knöpfen und ähnliche Artikel. Keine einzige chinesische Ware — keine Teller, Tassen oder Schlüsselanhänger mit Ansichten und Profilen, die den Stolz des Ortes symbolisierten. Das Sortiment erinnerte an eine Ausstellung einer kleinen Gruppe von Franzosen und Belgiern, die ihre Handwerkskunst im Französischen Institut in Wien präsentierten. Ähnliche Ringe und Broschen, gehäkelte Blümchen, freundliche Gesichter der Verkäufer, die ihre Produkte anboten. Alles war so niedlich und rührend, dass es unmöglich war, nicht ein Blümchen zu kaufen, das die Wärme und Zärtlichkeit der Hände ausstrahlte, die es gefertigt hatten.
Laut Statistik übertrifft Luxemburg mit seinem Einkommen pro Kopf viele Städte der Welt. Der energetische Puls des Landes schlug gleichmäßig und produktiv entlang des Flusses Alzette in der unteren Stadt, in den Mauern der zahlreichen Banken und großen Finanzgesellschaften, während das Zentrum — mit seiner architektonischen Vielfalt, den zu breiten, menschenleeren Alleen und Boulevards, den Menschen, dem frei umherwehendem Wind — von Gleichgültigkeit und Langeweile durchzogen war, beinahe wie ein Ort der Vernachlässigung. Diese trübe Stimmung, die wahrscheinlich gerade diesem Ort eigen war, ergriff auch die Besucherin der Stadt. Der Wunsch, die unterirdischen Labyrinthe der Kasematten zu besichtigen — eine der Hauptattraktionen Luxemburgs — war zwar aufgekommen, aber nicht stark genug, um ihn wirklich umzusetzen. Der Ring von Parks bot Erholung und Genuss beim Betrachten der Szenerie. Während sie sich der süßen Trägheit über dem stillen Petruss-Tal und dem schmalen Band des Petruss-Flusses hingab, fing der Blick die letzten sonnigen Septemberstrahlen ein, die in Europa so launisch und selten sind.
Das melodische, wohlklingende Wort „Luxemburg“ stammt vom altsächsischen Lucilinburhuc – kleine Festung. Heute ist es sowohl die Hauptstadt als auch das Land – ein großes Herzogtum, eines der kleinsten Staaten der Welt, das erfolgreich vom günstigen Steuerklima, den Finanzdienstleistungen, dem Bankensektor und den Investmentfonds lebt; eine Art Konglomerat aus mittelalterlichen Burgen, von denen viele zu Ruinen geworden sind, alten keltischen und römischen Siedlungen sowie modernen internationalen Organisationen, die sich im neuen Stadtteil Luxemburgs im malerischen Tal niedergelassen haben.
Die Geschichte des Staates begann im Jahr 963, als Sigfried I. eine römische Festung am Fluss Alzette erwarb. Hier entstand die luxemburgische Dynastie, die einen bedeutenden Einfluss auf die Geschichte Europas hatte. Die Karlsbrücke – das Wahrzeichen von Prag – wurde im 14. Jahrhundert von einem Vorfahren dieser Dynastie, dem großen Lehnsherrn von Mitteleuropa, Karl IV., erbaut, und die Hauptstadt der Tschechischen Republik wurde unter seiner Herrschaft zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Im Mittelalter lag Luxemburg an einer strategisch wichtigen Militärroute, die die deutschen und franko-burgundischen Gebiete verband. Im 15. Jahrhundert gelangte es in den Besitz des Herzogs von Burgund und später der spanischen Linie der Habsburger. Luxemburg wurde wiederholt von den Franzosen, Spaniern, Österreichern und Deutschen annektiert. Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs, durch die Verträge von 1713-1714, ging Luxemburg zusammen mit Belgien von den Spaniern an die Habsburger von Österreich, wobei das Herzogtum in dieser Zeit florierte.
Der Wendepunkt auf dem Weg zur Unabhängigkeit war der Wiener Kongress 1815, der die zukünftige Ordnung Europas festlegte. Luxemburg erhielt damals einerseits den Status eines Großherzogtums und eines unabhängigen Staates, blieb aber persönliches Eigentum von Willem I., Prinz von Nassau-Oranien und König der Niederlande, andererseits wurden die Gebiete östlich der Flüsse Ur, Sûre und Mosel an Preußen abgegeben – Luxemburg war damit teilweise Teil des Deutschen Bundes und teilweise der Niederlande. Dennoch brachte der Zollverein mit dem vereinigten Deutschland Luxemburg erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Das kleine Großherzogtum, das von den Großmächten umgeben war – mal friedlich, mal darauf aus, die kleine, leckere Beute zu verschlingen – versuchte, seine Positionen durch eine Union mit den Belgiern zu stärken, wie 1830, allerdings erfolglos.
Es dauerte bis 1867, als Luxemburg endlich den Status eines unabhängigen Staates erlangte, nachdem der Deutsche Bund aufgelöst worden war und Preußen seine Garnison aus der Hauptstadt abgezogen hatte. Die Neutralität Luxemburgs wurde von den Großmächten – Frankreich, Großbritannien, Preußen, Russland und Österreich – garantiert, während die Souveränität dem Haus Nassau gehörte. Doch im Jahr 1914 wurde die Neutralität Luxemburgs durch den Einmarsch deutscher Truppen für vier Jahre erneut verletzt. Bei einem Referendum im Jahr 1919 stimmte die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegen die Schaffung einer Republik und für die Beibehaltung des Großherzogtums, das von Großherzogin Charlotte bis 1964 regiert wurde. Der Reisende wird viele Erinnerungen an die fruchtbaren Jahre ihrer Herrschaft finden.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zwangen die mächtigen Alliierten Luxemburg, seine wirtschaftlich vorteilhafte Zollunion mit Deutschland aufzugeben – und erneut war Luxemburg gezwungen, die Unterstützung seiner Nachbarn zu suchen. So entstand 1921 die Belgisch-Luxemburgische Wirtschaftsunion (BLEU). Nach der Befreiung Luxemburgs von der deutschen Besatzung im Jahr 1944 wurde das Herzogtum Teil der Benelux-Staaten – einer neuen Wirtschaftsunion mit Belgien und den Niederlanden und dann im Jahr 1949, nach der Aufgabe der Neutralität, NATO-Mitglied.
Hier im Großherzogtum wurde 1985 das Abkommen „Über die schrittweise Abschaffung der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen“, allgemein bekannt als „Schengen“, unterzeichnet. Luxemburg war 1993 eines der ersten Länder, das der Europäischen Union beitrat. Vorausgegangen war ab 1957 die Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Das Land beherbergt die Verwaltungsbüros der EU, und Luxemburger wie die Premierminister Jacques Santerre und Jean-Claude Juncker spielten wichtige Rollen in der Organisation – so fungierte Juncker beispielsweise von 2005 bis 2013 als Leiter der Eurogruppe, die für die Verwaltung der einheitlichen Währung der Eurozone verantwortlich war. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hatte sich das Land einen guten Ruf als Zentrum für Finanz- und Bankdienstleistungen, E-Commerce, Medien und Satellitenübertragungen erworben, und irgendwann im 21. Jahrhundert erhob das Großherzogtum bereits Anspruch auf den Ruf des Staates mit dem höchsten Lebensstandard der Welt.
Trotzdem gibt es hier eine niedrige Geburtenrate, und die Hälfte der Bevölkerung besteht aus Zuwanderern – hauptsächlich Portugiesen, Franzosen, Italienern, Belgiern und Deutschen.
Die Vereinigten Staaten in Europa – so nannte Victor Hugo Luxemburg, das dem großen französischen Schriftsteller Asyl gewährte, nachdem er von der neuen Regierung von Napoleon III. zur „Persona non grata“ erklärt worden war. Das Großherzogtum hat seinen Platz in V. Hugos Biografie mit einem Museum im malerischen Dorf Vianden an der Grenze zu Belgien verewigt. Hier, in Vianden, lebte der Schriftsteller 1871 für zehn Wochen: bis 11 Uhr – Arbeit, danach Spaziergänge mit seiner Familie, die separat, aber ganz in der Nähe, auf der anderen Straßenseite wohnte. Unwillkürlich kommt einem der Ausruf von Michail Zhwanetzki in den Sinn: „Verschwenden Sie meine Einsamkeit nicht und lassen Sie mich nicht allein!“ Das Museum ist ein Haus, das sich in einer Kurve der Straße und am Ufer des Flusses Our befindet, neben einer Wurstbude und der von der Atmosphäre vergangener Zeiten durchzogenen Nikolauskirche. Das Arbeitszimmer des Schriftstellers – mit Blick auf die imposante Burg Vianden – auf dem Berg, fast im Himmel. Die vergilbten Bände, scheinbar Erstausgaben – „Les Misérables“, „Der Mann, der lacht“, „Neunzig Dritte“, „Der König amüsiert sich“, Briefe, Faksimiles bemerkenswerter Zeichnungen von Hugo selbst, darunter die Burg in Schengen, ein Reiseführer durch die Ardennen, veröffentlicht 1857. Der schlafende Wind, die Ruhe des Our, das Flügelschlagen der Schwäne, das leise Gespräch, halb leere Restaurants, das Glimmen der einsamen Kerze in der Nikolauskirche. Im Schloss fand ein Buchmarkt statt. Zu diesem Anlass wurde in dem ehemaligen Weinkeller Linsensuppe mit Scheiben geräucherter Wurst serviert, die von einer korpulenten, rosigen Köchin unter dem schwachen Licht einer Lampe ausgegeben wurde. In der Suppe fand sich eine Wespe, aber macht nichts, eine Wespe ist kein Maus.
Ein geografisches Dreieck: Vianden – Luxemburg – Schengen. Innerhalb dieses Dreiecks, bis zum Horizont, Wiesen mit Herden von grasenden Kühen oder verlassene Felder. Ein fantastischer, aufgewühlter, roter Sonnenuntergang. Ein intelligenter, sichtlich angetrunkener Einheimischer ließ in der Warteschlange an der Kasse im Straßen-Supermarkt galant eine Dame vor.
Schengen – blass auf der Karte, aber bedeutend in der Geschichte. Ein Museum, das dem Schengener Abkommen gewidmet ist – mit freiem Eintritt, ein Raum. Monitore, Broschüren, Postkarten. Eine geschlossene Kirche. Der von Efeu überwachsene Turm des Schengen-Schlosses – genau wie auf V. Hugo’s Zeichnung, als wäre er vom Zahn der Zeit unberührt. Eine rostige Skulptur mit einer gewissen postmodernen Bedeutung, in die es zu faul ist, sich zu vertiefen. Der an Deutschland und Frankreich grenzende Fluss Mosel – ein stiller Zeuge des Schengener Abkommens, das auch Mosel-Abkommen genannt werden könnte – der Vertrag wurde auf einem Schiff unterzeichnet. Ein völlig verlassenes Gebiet, wäre nicht gerade ein Bus mit Japanern eingetroffen.
Neuer Morgen. Draußen eine laute Gruppe junger Leute, einer von ihnen pfeift auf einer Pfeife und rennt vor einem Mädchen weg, das versucht, ihm die Pfeife abzunehmen. Sirenen – diesmal von der Polizei. Ein Vorfall am Geldautomaten. Wieder Frühstück, wieder „bonjour“, wieder Vangelis und Croissants. Der düstere Mann mit der Augenbinde ist verschwunden, an seiner Stelle Japaner.
Vielleicht sollte man Japanisch lernen? – „Kibati“ ist die japanische Bezeichnung für Wespe. Oder sich gemütlich niederlassen mit Thomas Manns frühem Werk „Königliche Hoheit“? – wo ein ähnliches, fabelhaftes, verschlafenes, kleines Fürstentum endlos langsam, aber faszinierend beschrieben wird.