„Trier wurde 1300 Jahre vor Rom gegründet…“ – so steht es auf einer Inschrift an einem der städtischen Häuser. Nach Ansicht moderner Wissenschaftler war Trier im 4. Jahrhundert eine der bedeutendsten Städte der Welt, neben Rom, Konstantinopel und Alexandria. Nach der Teilung des Römischen Reiches im Jahr 395 wurde es zur Residenzstadt eines der vier römischen Kaiser, und der gesamte Nordwesten des Reiches wurde von Trier aus regiert.
In der Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war Trier seit dem 12. Jahrhundert die Residenz der Kurfürsten, die gleichzeitig als Erzbischöfe fungierten. Später wurde die Stadt Sitz der Oberhirten der römisch-katholischen Diözese in dieser Reichsprovinz – der ältesten Diözese nördlich der Alpen. Hier befinden sich der älteste Dom Deutschlands, das älteste jüdische Haus, die älteste Apotheke, ein Amphitheater mit 20.000 Plätzen und drei Thermenkomplexe.
Schließlich brachte dieses Land Karl Marx hervor – verehrt nicht nur in Trier, sondern in weiten Teilen der Welt. Man gerät fast ins Schwindeln angesichts der Konzentration dieser „ältesten, größten und bedeutendsten“ Sehenswürdigkeiten und UNESCO-geschützten Stätten – doch der ruhige Fluss der Mosel beruhigt den Blick.
Das Archäologische Museum von Trier:
Eine Tonscherbe, aus den Tiefen der Zeit geborgen, behutsam unter das schützende Glas des Museums gelegt. Äußerlich unscheinbar – doch welche Erinnerungen birgt sie in sich?
Jahrzehnte, Jahrhunderte – der Atem der dichten Lithosphäre, das gedämpfte Geräusch des Regens in der Erde, belauschte Gespräche, das feuchte, glitschige Streifen der Würmer, die sich in den Thermen wohlig räkelten. Das Zittern der Lippen eines Gladiators vor seinem aussichtslosen Kampf gegen ein Raubtier oder einen ebenso Unglücklichen wie er selbst. Der bittere Geschmack weiblicher Tränen, die den Blick auf das Spektakel trüben, das die rasende Menge fordert – betäubt von harter Arbeit und der Langeweile ebenjener Mühsal.
Man erinnert sich an Raffaello Giovagnolis Roman Spartacus, in dem enge Freunde, Gladiatoren, gezwungen wurden, in tödlichem Kampf gegeneinander anzutreten.
Eine weitere Scherbe, eine dritte, eine fünfte, eine zehnte… Sie könnten das Band der Vergangenheit zurückspulen und eine jahrhundertelange Debatte unter Historikern lösen – erzählen, wer Trier tatsächlich gegründet hat. War es der assyrische Prinz Trebeta, Stiefsohn der Königin Semiramis, der nach langer Verbannung und Wanderung an der Mosel sesshaft wurde? Oder war es der Anführer des gallischen Stammes der Treverer? Oder war es doch – wie die meisten Wissenschaftler heute vermuten – der römische Kaiser Augustus, der im Jahr 16 v. Chr. nach der Eroberung des gallo-keltischen Siedlungsgebiets durch Gaius Julius Caesar die erste Seite der Stadtgeschichte schrieb und die Siedlung Augusta Treverorum nannte?
Trier bewahrt auch die Schätze der Oberschicht seiner fernen Vergangenheit – Kelche, Reliefs, Mosaike… Sie erinnern an die Pilgerreise der Heiligen Helena nach Jerusalem, an ihren Sohn, den ersten christlichen römischen Kaiser – den heiligen Konstantin den Großen. An seine Empfänge in seinem Palast mit dem Thronsaal, geschmückt mit schwarzem und weißem Marmor und goldenen Mosaiken – eine atemberaubende Pracht im 4. Jahrhundert, heute geplündert und dennoch weiterhin überwältigend.
Das Karl-Marx-Museum in Trier
Das Geburtshaus von Karl Marx ist eine Sehenswürdigkeit, die fast jeder Besucher aufsucht. Die Ticketverkäuferin – eine freundliche junge Chinesin. Broschüren gibt es auf Chinesisch und Russisch. Andere Sprachen scheinen in den Hintergrund gedrängt. Der größte Zustrom an Touristen kommt aus China. Sie bauen mit ungebrochenem Enthusiasmus weiter am Kommunismus. Die Chinesen reisen in ganzen Busladungen an, die Russen hingegen meist allein. Das Gebäude des sowjetischen Kommunismus konnte nicht vollendet werden, und so besuchen die Russen das Museum wie eine baufällige, unvollendete Konstruktion – fast wie eine römische Ruine. In Deutschland werden Karl-Marx-Denkmäler nicht abgerissen, und das Museum, das der Sozialdemokratischen Partei gehört, wird mit spürbar fester, wirtschaftlicher Hand geführt.
Karl Marx unternahm den Versuch, die konventionelle Welt umzugestalten, die Wechselwirkung der gegensätzlichen Kräfte – Yin und Yang, sozusagen – auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, sie auf den Äquator zu ziehen. Er begründete die Notwendigkeit, alles Geld in einen großen Topf zu werfen und es gleichmäßig zu verteilen. War das nicht ein edler Impuls, voller Liebe zum „einfachen“ Volk? Edel, aber wohl auch vergeblich. Die alten fernöstlichen philosophischen Lehren betrachten Yin und Yang als die grundlegenden Kräfte der Bewegung und Veränderung in der Natur – die Polarität ist dem Kosmos, der Weltordnung, inhärent.
Dennoch haben westliche Politiker die Ideen von Marx und dem untrennbar mit ihm verbundenen Engels gut verstanden: Wenn man die „einfachen Leute“, auf deren Schultern letztlich alles ruht, nicht bei Laune hält, könnte der Ruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ erneut ertönen – und nicht weniger lautstark als einst. Bestätigung dafür findet sich in den hinzugezeichneten Hörnern und Schnurrbärten auf den Gesichtern der Kandidaten auf Wahlplakaten kurz vor den Wahlen. Man erinnert sich an Alexei Tolstois Roman Die Emigranten, in dem er die Lage der Deutschen im Jahr 1919 beschrieb: „Die Deutschen ernährten sich von rohen Steckrüben und starben zu Zehntausenden an Entkräftung.“ Und nun, hundert Jahre später, ist Deutschland in der Lage, nicht nur sein eigenes Proletariat zu versorgen, sondern auch das der EU-Länder – und das, obwohl die Bedürfnisse des modernen Proletariats heute fast an jene der Intellektuellen und anderer Schichten heranreichen.
Die Quadratmeter von Trier kommen kaum mit der Fülle von Denkmälern für die Römer und deutschen Kurfürsten zurecht.
Der Strom an steinernen Statuen, römisch majestätisch und deutsch ordentlich, haut einen um. Die Vielzahl an Tempeln für eine kleine Stadt lässt einen schwindelig werden. Die grandiose Marienkirche, der noch grandiosere Dom St. Peter, der Aufbewahrungsort des Heiligen Rockes Christi, die Kirche des Heiligen Eucharius und des Heiligen Matthäus im Benediktinerkloster mit den Reliquien des Apostels Matthäus, die Kirche des Heiligen Gangolf inmitten von Fachwerkhäusern, die Kirchen des Heiligen Paulus, des Heiligen Antonius, des Heiligen Irminius, des Heiligen Maximin, des Heiligen Martin, des Heiligen Paulinus…
Alles ist so organisiert – restauriert, gereinigt, klar, beschriftet, geheizt oder gekühlt, dass der Überlebensinstinkt abgestumpft wird. Noch ein Museum, noch eine Geschichte, noch eine Kirche, noch eine Dosis Weihrauch – und plötzlich entsteht das Gefühl der Schwerelosigkeit, fast der Flüchtigkeit. Es scheint, als würde der Körper sich vom Boden lösen und zusammen mit dem Geist emporsteigen. Und nur die feinen Düfte, die an die kulinarische Expansion des benachbarten Frankreichs und an die Mittagszeit erinnern, nehmen überhand und bringen einen zurück auf die Erde, zum Banalen.
Ein Restaurant mit französischer Raffinesse und Geschmack – die Suppe ist hervorragend, das Dessert ist köstlich. Der Kellner nimmt das leere Geschirr und lässt die Rechnung da – als Erinnerung daran, dass alles Gute – ebenso wie das Schlechte – irgendwann bezahlt werden muss. Die Rechnung ist beglichen, und anstelle des Hungers tritt das Gefühl der Sättigung ein, zusammen mit dem Wunsch, sich erneut von der Strömung des Labyrinths der Sehenswürdigkeiten mitreißen zu lassen.
Das antike Amphitheater: Ein Ort der Konzentration einer lauten Menschenmasse, geschaffen für den Ausstoß der angesammelten physischen Erschöpfung, für die Befreiung des Gedächtnisses von Routine und Sorgen. War es jahrhundertelang am Rand des städtischen Lebens, so befindet sich das Amphitheater nun an seiner Peripherie. Hier ist es still, wie auf einem Friedhof. Der unterirdische Käfig der Arena – eine Prüfung für Menschen mit Vorstellungskraft – hier wurden die zum sicheren Tod Verurteilten gehalten. Oben tropft das Wasser im Takt des Pulses, als zählte es die Sekunden eines Lebens. In tiefen Brunnen – schwarze Löcher. In der dunklen Wasserflut weit unten regte sich etwas. Eine Ratte? Oder der Geist eines Gladiators?
Jüdischer Friedhof. Unter anderem befinden sich dort die Gräber von Verwandten von Karl Marx. Ein älterer, freundlicher Radfahrer, der angeboten hatte, bei der Kartenorientierung zu helfen, zuckte entschuldigend mit den Schultern und sagte, dass der Friedhof immer geschlossen sei. Die Lebensmaxime „Vertrauen, aber kontrollieren“ funktionierte im deutschen Trier nicht. Die Überprüfung mit eigenen Füßen bestätigte, dass er tatsächlich geschlossen war – und zwar komplett. Nur durch einen winzigen Spalt konnte man mit einem Auge die niedrigen, schiefen schwarzen Steine über dem, was einst von Menschen bewohnt wurde, erblicken.

Die römischen Thermen, beziehungsweise das, was von ihnen übrig geblieben ist, beeindrucken mit ihrem Ausmaß der Selbstliebe. Es scheint, als habe hier die von Sokrates, den Stoikern und Kynikern verkündete, in unserer Zeit wieder von Michel Foucault aufgegriffene Aufforderung zur Sorge um sich selbst ihre irdische Gestalt gefunden. Mens sana in corpore sano – in einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist! Dies ist bereits unsere Interpretation der Formel für ein harmonisches Leben des römischen Satirikers Juvenal, obwohl er in Wirklichkeit die Götter anrief, uns sowohl einen gesunden Körper als auch einen gesunden Geist zu senden. Im Spielzeugmuseum ist der Kartenverkäufer ein Rollstuhlfahrer. Hinzu kommt, dass er auch noch eine laufende Nase und Husten hat. Was ist mit seinem Geist, und ist er in der Lage, von den Thermen Hilfe zu erhalten? Es wird irgendwie unangenehm, auch wenn man tut, als sei alles in Ordnung, aber man geht mit einem schweren Gefühl im Herzen. Die erhaltenen Spielzeuge längst gealterter und verstorbener Menschen rufen plötzlich ein weiteres Erbe der Antike ins Gedächtnis – memento mori, erinnere dich an den Tod. Und es entsteht eine Angst vor der Vergänglichkeit der Zeit, eine Angst, die durch den Anblick von Kindern, die unbeschwert die Spielzeuge betrachten, noch verstärkt wird. Doch kaum hatte man das Museum verlassen, da fiel ein Sonnenstrahl ins Gesicht, und es wehte der Duft von Zimt aus den Türen des nächsten Cafés. Die kürzlichen düsteren Gedanken verflogen plötzlich, als hätten sie Unterschlupf im Turm der schwarzen römischen Tore gefunden und Gesellschaft des Geistes des Einsiedlers Simeon von Trier geleistet.
Es kam der Wunsch auf, Wein im Karl-Marx-Museum zu kaufen, mit demselben Namen, aber nicht für sich selbst, sondern als Geschenk – um Freunde, die keine Marxisten sind, zu überraschen und die Marxisten angenehm zu verblüffen. Marx war als Liebhaber und Kenner guten Weins bekannt, da er in einer Gegend geboren und aufgewachsen war, in der der Weinbau florierte, und er glaubte, dass ein Mensch, der dieses Getränk nicht trinkt, nichts Bedeutendes schaffen kann. Es ist interessant, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, wenn der Autor von „Das Kapital“ und Mitautor des „Kommunistischen Manifests“ gegenüber Wein gleichgültig gewesen wäre? Und noch ein Wunsch kam auf: ein Gips-Elefant zu kaufen und damit Mittel für lebende asiatische Elefanten zu spenden. Der Kauf schien naheliegend – die ganze Stadt war mit bunten Elefanten bedeckt, die mit den Sehenswürdigkeiten konkurrierten und an das nervige Märchen erinnerten: „Kauf dir einen Elefanten, kauf dir einen Elefanten, und du kaufst dir einfach…“ Um schließlich einen Schlussstrich unter diese aus der Kindheit aufgetauchte Geschichte zu ziehen, kaufte die Reisende den Elefanten. Beim Abendspaziergang durch Trier dachte sie über sprachliche Spielereien nach – reduzierte sie auf Refrains und Anaphoren – und über die Farben, mit denen der Elefant bemalt werden sollte, der bereits in derselben Tasche war wie der „Karl-Marx-Wein“. Um ihr Zusammenleben in Harmonie zu bringen, schien Rot die passende Wahl.