„Ich schaffe Kunst mit der Absicht, Schönheit einzufangen, und glaube, dass die Hauptaufgabe eines Künstlers darin besteht, positive Veränderungen in der Welt zu bewirken.“
Nach einer frühen Ausbildung in Klavier widmete sich Viktoria Malyshava dem Studium des internationalen Rechts in Minsk, gefolgt von einer postgradualen Ausbildung für Werbemanagement und Kommunikation, wonach sie als Grafikdesignerin für Zeitungen und Magazine in Belarus tätig war. Gleichzeitig studierte sie Malerei bei Vladimir Tkachenko, dem Ehrenkünstler von Belarus. An der Universität Wien erwarb sie einen Bachelor of Arts in Kunstgeschichte und ist aktuell als freie Journalistin, Buchautorin und Künstlerin tätig. Ihre künstlerischen Arbeiten widmen sich den Themen Natur, Weiblichkeit und Ausgeglichenheit.

«Nach außen hin bin ich ruhig und respektvoll. Aber im Inneren herrscht eine Art Wahnsinn…»
— Was hältst du von Wien?
— Es gibt ein Sprichwort, das besagt: «Wo man geboren wird, da lebt man am besten». Aber ich denke, dass das Leben in anderen Ländern und das Kennenlernen anderer Traditionen eine Chance ist, den eigenen Horizont zu erweitern.
In Wien zu leben bedeutet, permanent in Geschichte und Kultur eingebunden zu sein. Vielleicht tun Sie gar nichts, aber die Kultur wird Sie beeinflussen. Als ich meinen Essay über Wien, «Spiegel derantiken Hauptstadt», schrieb, hatte ich diese Bilder vor Augen: «Wien ist erhaben, und wenn man nicht wiedersteht, bedeutet die Unterwerfung unter diese Stadt, eine Kuppel oder zumindest ein Fries zu werden, sich als Violinschlüssel oder zumindest als ein B-moll zu reinkarnieren». Österreich ist ein Ort, der meiner Meinung nach dem Ideal nahe kommt. Der Architekt der Welt hat dieses Land ausgelassen, vielleicht fehlt nur das Meer. Was der österreichischen Hauptstadt vielleicht noch fehlt, ist ein energischer Rhythmus und Leidenschaft. Auch wenn manche das als einen weiteren Vorzug der Stadt ansehen.
— Hast du schon einmal im Ausland gelebt?
— Wie es das Schicksal so will, habe ich vor Wien lange Zeit in Prag gelebt. Ich liebe diese Stadt und kann nicht genug von ihr bekommen, ich entdecke immer wieder etwas Neues. Meine Eindrücke von diesem Ort sind in dem surrealistischen Essay «Das Bermuda–Dreieck der Aquarellstraßen»zusammengefasst. Für mich ist die Prager Architektur ein grenzenloses Fließen, als ob sie sich in einem Nieselregen ohne Anfang und Ende auflöst.
— Was ist mit Wien, den Österreichern?
— Jeder Wohnortwechsel, selbst eine Wohnung in einer Stadt, bedeutet einen neuen Lebensabschnitt. Und wenn man in ein anderes Land zieht, ist es, als würde alles auf den Kopf gestellt. Ein Umzug ist wie ein schnelles Mittel zur Selbstverbesserung. Ein neues Land begünstigt innere Veränderungen, persönliches Wachstum und neue Erfahrungen. Nach meinen Beobachtungen sind die meisten Österreicher intelligent und taktvoll — auch in den einfachsten Berufen. Die Kinder werden auch nicht angeschrien. Eltern haben genug Geduld, um mit den Launen ihrer Kinder umzugehen und ihnen geduldig zu erklären, wie sie sich verhalten sollen. Ich lerne ständig von den Österreichern.
—Warum Wien?
— Es liegt in der menschlichen Natur, sein Heimatland zu lieben, und ich bin da keine Ausnahme. Ich habe nie Pläne gemacht, Minsk, meine Heimatstadt, zu verlassen. Obwohl ich einmal, als ich Bücher über Reisen las, von neuen Ländern träumte, wovon in seiner Jugend wohl jeder träumt. Und irgendwann in meinem Leben, wie in den Filmen, «ging etwas schief»… Oder war es andersherum? — Es lief genau nach Plan.
Wie kann ich die Logik der Ereignisse verstehen? Warum bin ich hier? Als ich 16 war, war ich auf der Durchreise in Wien. Die Spitze der gotischen Kathedrale, die vom Mond und den Sternen beleuchtet wurde, erweckte damals ein solches Gefühl, als hätte ich ein UFO gesehen. Es hat etwas Surreales, wenn die gotische Vision der Jugend Wirklichkeit wird und zum Alltag gehört.
—Was hast du in Minsk gemacht?
— In Minsk habe ich internationales Recht studiert und die juristische Fakultät abgeschlossen.
— Bist du auch in Wien in diesem Bereich tätig?
— Ganz und gar nicht. Ich habe schon immer gerne gezeichnet. Als ich nach Wien kam, führte mich mein Weg von der Jurisprudenz zur Kunstgeschichte. Ich habe Kunstgeschichte an der Universität Wien studiert — dem Ort, an dem Kunst überall und auf Schritt und Tritt präsent ist.
— War es schwierig, eine Fremdsprache zu lernen?
— Vielleicht war es nicht einfach, aber die Hauptsache ist, dass es wahnsinnig interessant war. Das österreichische Bildungssystem unterscheidet sich deutlich von dem belarussischen. Der Schüler steuert den Lernprozess selbst und ergreift die Initiative. Außerdem gibt es hier keinen „Ablasshandel“. Wenn du nicht lernst, wird dir niemand eine Note für schöne Augen geben. Die Universität Wien ist auch eine Schule der Selbstorganisation, der Disziplin, der Willenskraft. Ich habe die Lehrkräfte bewundert, ich schätze den Vorlesungsstoff und komme manchmal darauf zurück.
— Bist du viel unterwegs?
— Österreich ist der perfekte Ausgangspunkt für Reisen durch Europa, in Länder, die das Erbe des Römischen Reiches bewahren. Es ist erstaunlich: ein paar Stunden mit dem Auto oder eine Nacht im Zug, und schon schlendert man durch Venedig, fährt mit dem Vaporetto zwischen den Luxusgütern, wo «ein schöner Anblick einen anderen noch schöner macht», so zitiere ich Joseph Brodskys «Kai der Unheilbaren». Bayern, Böhmen — man könnte sagen, um die Ecke. Und Österreich selbst ist ein Buch, in dem man endlos lesen kann: atemberaubende Natur, reiche Kultur.
— Ich weiß, dass du deine Reiseerfahrungen beschreibst.
— Die Gefühle, die mich überwältigen, werden in Reisenotizen festgehalten. Ich kombiniere meine eigenen Beobachtungen mit historischen und kulturellen Informationen. Einige meiner Geschichten sind überladen mit Bildern — besonders in den Essays über Wien und Prag. Aber was kann ich tun, wenn diese Orte komplex, vielschichtig und sogar skurril sind — es ist sogar unpassend, sich ihnen mit einem einfachen Vokabular zu nähern.
— Mit welcher Art von Menschen kommunizierst du am liebsten?
— Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich in Fantasien und Hirngespinsten lebe und mich von realen Nachrichten und Ereignissen ablenke. Ich mag Menschen, die noch nicht ganz erwachsen sind, die scherzen und herumalbern können. Und es ist großartig, wenn eine Person etwas mit Kreativität zu tun hat — beruflich oder durch ein Hobby. Oder zumindest liebt sie Kunst. Das sind völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, die eine andere geistige Organisation haben. Obwohl ich großen Respekt vor Menschen habe, die wirklich etwas tun, die Stiftungen gründen, die Workaholics sind. Jeder braucht auf die eine oder andere Weise «Brot und Spiele». Obwohl Brot und Unterhaltung manchmal kombiniert werden können. Das ist meine Einstellung zum Essen — ich möchte es nicht nur schmackhaft machen, sondern auch schön servieren.
— Du sagtest, du hast schon immer gerne gemalt. Und jetzt in Wien?
— «Malen ist ein Bedürfnis des Körpers», hat mein Kunstlehrer immer gesagt. Wahrscheinlich das Gleiche wie Musikalität oder Tanz. Ich besuchte eine Musikschule, aber im Gegensatz zur Malerei war das Klavierspielen kein körperliches Bedürfnis. Manchmal öffne ich das Klavier, aber sobald ich einen Bleistift und einen Pinsel in die Hand nehme, hört alles um mich herum auf zu existieren. Du vertiefst dich in eine Sache, deine Konzentration beim Malen ist enorm. Es ist wichtig, sich hinzusetzen und anzufangen, nicht geduldig auf die Muse zu warten. Diese Dame kommt während der Arbeit.
Jetzt möchte ich schnell etwas malen. Obwohl ich einmal monatelang an einem Bild arbeiten konnte. Wie viele detaillierte und meisterhafte Landschaften gibt es doch, die den modernen Betrachter leider nur selten berühren. In Museen hängen sie oft in mehreren Reihen, wie im Wiener Belvedere in den oberen Stockwerken. Meistens kann man sie nicht aus der Nähe betrachten. Der Betrachter blickt lediglich auf das Bild, an dem der Künstler monatelang, vielleicht sogar jahrelang, gearbeitet hat.
Im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert war es, als ob eine Zeitverschiebung stattgefunden hätte, und die Meister der Moderne reagierten darauf. Sie durchliefen verschiedene Stadien der Malerei, von sorgfältiger Detailarbeit bis hin zu großen Pinselstrichen. Man denke zum Beispiel an die Werke von Gustav Klimt oder Pablo Picasso aus der Früh- und Spätphase. Zeitaufwändige, realistische, akribisch gemalte Bilder wurden von schnellen, phantasievollen und fast etüdenhaften Werken abgelöst.
Es war, als würden die Zeiger der Uhr schneller laufen. Die Maler, die sich dessen bewusst waren, hatten es wahrscheinlich eilig, ihr Talent zum Ausdruck zu bringen. Und dann kam die Fotografie auf, so dass es nicht mehr notwendig war, die Wirklichkeit in Farben genau wiederzugeben. Es gab eine Tendenz, dass der Künstler über den sorgfältigen Handwerker hinausging. Manche Menschen mögen das, andere nicht. Wenn Malewitsch 1915 mit dem schwarzen Quadrat den Beginn einer neuen Epoche markiert hat, dann ist dieses Symbol meiner Meinung nach bereits alt geworden. Was wir brauchen, ist ein neues Zeichen — Geschwindigkeit. Meine Phantasie zeichnet eine weiße Spirale, die in die schwarze Unendlichkeit führt. Die allgemeine Tendenz — und damit meine ich nicht nur die Malerei — ist, dass die lange Arbeit an einem “Projekt” nichts mehr für den modernen Menschen ist. Die Welt beschleunigt sich weiter. In etwa fünf bis zehn Jahren steht uns vielleicht etwas Erstaunliches und heute noch Unbegreifliches bevor.
— Was malst du? Kopien von großen Gemälden?
— Früher gehörte es zum Pflichtprogramm des Kunstunterrichts, die hohen Kunstwerke der Vergangenheit, insbesondere der Renaissance, zu kopieren. Heutzutage gibt es diese Methode auch noch, aber es hat sich auch eine große Veränderung ergeben. Das Wichtigste an einem Gemälde ist nicht einmal das handwerkliche Können, sondern die Energie, die von der Leinwand ausgeht.
Ich könnte nie kopieren, ich finde es langweilig. Man bekommt keine Inspiration und keinen inneren Auftrieb, wenn man auf diese Weise malt. Das heißt, man bekommt nicht die Emotionen, für die es in Wirklichkeit Kreativität gibt. Und wenn man etwas wiederholt, muss man es mindestens so gut machen wie das Original. Oder man sollte es nicht tun, um sich selbst nicht zu enttäuschen und um andere nicht zu enttäuschen. Bei musikalischen Remixen geht es mir genauso — es gibt nur sehr selten etwas, das es wert ist. Ich war einmal im Albrecht-Dürer-Museum in Nürnberg. Ein Raum dort ist Kopien von Dürers Selbstporträt gewidmet. Wenn man das Original nicht sieht, haben diese Werke eine Existenzberechtigung. Aber im Vergleich zum Selbstporträt des Meisters… Ich möchte einfach niemanden beleidigen…
Ich war extrem beeindrückt von den Werken Wan Goghs in dem ihm gewidmeten Museum in Amsterdam. Die Originale hatten etwas sehr Kraftvolles an sich… Und die Bilder selbst sind so viel stärker als die Fotos. Ich schreibe einen Film-Blog, und während ich einen Film über Van Gogh «An der Schwelle zur Ewigkeit» besprach (der übrigens auch meine Kursarbeit in Filmwissenschaften war), erinnerte ich mich an eine Episode aus meinem Leben: Ich malte zufällig eine Kopie einer Sonnenblume von Van Gogh an die weiße Wand des Hauses. Trotz der Einfachheit des Bildes erwies es sich als eine sehr schwierige Aufgabe. Nicht technisch, sondern emotional. Ich war schlecht gelaunt, wachte in der Nacht auf und wollte meine Arbeit, die zu einer echten Qual geworden war, unbedingt bald beenden. Es scheint, dass der rebellische Geist Van Goghs in gewisser Weise auf mich übergegangen ist. Auch aus diesem Grund muss man beim Kopieren vorsichtig sein.
Die Ikonenmalerei ist eine andere Sache. In dieser schnelllebigen, eskapistischen Welt habe ich meine persönliche Ecke des Friedens. Ich fange an, mir selbst zu widersprechen. Hier habe ich über Geschwindigkeit geschrieben, und jetzt über Zeitlupe. Ich habe behauptet, ich könnte nicht kopieren —und das tue ich. Ikonenmalerei ist eine stille Arbeit, die der Meditation gleicht. Man weiß, wie das Endergebnis aussehen soll, so dass man sich keine Gedanken über Komposition, Farbe usw. machen müssen. Und das Kopieren einer heiligen Darstellung ist eine Berührung des Lichts, das die Ikonebringt. Natürlich muss man sich mit der Technik des Verfahrens und vielem mehr auskennen. Aber wenn man die Geheimnisse der Ikonographie lernt, dann wird die Arbeit zu einem echten Vergnügen.
— Viktoria, du erstaunst mich mit deiner Vielseitigkeit!
— Es gibt so viele interessante Dinge und so viele Möglichkeiten, dass ich manchmal gar nicht weiß, was ich tun soll. Ich muss mich zerstreuen: Ich möchte Aquarelle, Ikonen und Ölbilder malen, Geschichten schreiben und reisen … (ich schweige über den Alltag und die familiären Verpflichtungen).
Ich bin ein großer Fan des Kinos. Ich habe selbst angefangen, kleine Filme zu drehen —hauptsächlich über Österreich. Ich würde sogar riskieren, Filmregisseur zu werden… Glauben Sie, ich mache Witze? Vielleicht ist das die Wirkung, die Wien auf mich hat. Ich bin ein bisschen wie Sie. Nach außen hin bin ich ruhig und respektvoll. Aber im Inneren herrscht eine Art Wahnsinn…
Interviewt von Irina Muchkina
Februar 2022
Die Ausstellung „Antike Hauptstadt. Wien“, Januar 2024

– Die Ausstellung „Antike Hauptstadt. Wien“ widmet sich der österreichischen Hauptstadt, einer Stadt mit reicher Geschichte und Architektur. Welche Ecken von Wien sind Ihre Lieblingsorte und haben Sie am meisten inspiriert, beziehungsweise inspirieren Sie bei der Erstellung Ihrer Werke?
– Wien ist eine außergewöhnlich harmonische Stadt. Hier wird eine schöne Ecke von einer anderen abgelöst. Du schaust auf eine Aussicht – und schon lockt eine andere. In Wien existieren Mittelalter, Barock, Biedermeier, Historismus, Jugendstil und Weinberge nebeneinander… Und gleichzeitig ist Wien eine moderne Stadt. Alle Facetten von Wien sind wunderschön, alle liefern Nahrung für die Kreativität.
– Würden Sie gerne in einer anderen Epoche leben?
– Leben – nein. Aber sich für eine Weile in einer anderen Epoche wiederzufinden, zum Beispiel wie der Hauptcharakter in Woody Allens Film „Midnight in Paris“ – ja. Ich wäre nicht abgeneigt, Wien zu Zeiten Rudolfs IV. im 14. Jahrhundert zu besuchen. Seine Herrschaft hatte eine große Bedeutung für die Entwicklung des österreichischen Staates, der Bildung und Kultur. Unter Rudolf IV. wurde die Universität Wien gegründet, der Stephansdom wurde umgebaut und erhielt sein heutiges Aussehen. Es wäre interessant zu sehen, wie der Dom gebaut wurde, wie Steine gelegt wurden, wie dieses Werk wuchs – ob es nicht ohne das Eingreifen übernatürlicher Kräfte auskam, wie die Legenden erzählen… In unserem Zeitalter sind wir an das elegante, komfortable Wien gewöhnt. Es wäre sehr interessant zu sehen, wie die Hauptstadt im Mittelalter war.
– Wo beginnt bei Ihnen der kreative Prozess?
– Der kreative Prozess beginnt nicht und endet nicht. Er ist immer da. In meinem Kopf gibt es ständig viele Ideen, und die Frage ist: Mit welcher Idee soll ich beginnen?
– Erzählen Sie von der Technik und den kreativen Entscheidungen, die Sie für die Vorbereitung Ihrer Arbeiten für die Ausstellung getroffen haben.
– Als Künstler arbeite ich mit verschiedenen Materialien: Öl, Acryl, Aquarell, ich male Ikonen mit Tempera. Auf dieser Ausstellung sind jedoch nur Aquarelle zu sehen. Und auch Texte, denn Literatur spielt in meinem Leben eine nicht weniger wichtige Rolle als Malerei. Ich habe viele Geschichten über Wien, Österreich und andere interessante Orte angesammelt.
Meine Ausstellung ist konzeptionell in zwei Teile unterteilt. Der erste Teil, den ich „Wiener Collage“ genannt habe, besteht aus Aquarellen von Wiener Ansichten und Beschreibungen in zwei Sprachen, Russisch und Deutsch. Es sind schnelle, leichte städtische Skizzen und ebenso leichte Beschreibungen dazu. Die von mir dargestellten Orte sind natürlich allen, die in Wien leben, bekannt, aber ich hoffe, dass die Betrachter und Leser in den Beschreibungen etwas Neues und Interessantes entdecken werden.
Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich meinem poetischen Essay über Wien, „Spiegel der antiken Hauptstadt“. Ergänzt wird dies durch das Aquarellporträt einer Dame, die ich mit Wien assoziiere. Es ist ein aufwendiges Aquarell, das aus einer sehr großen Anzahl von eng aneinander gelegten, sehr kleinen Strichen reiner Farbe besteht. Auf diese Weise empfinde ich auch Wien: Es hat Myriaden von Facetten, die man entdecken und erkunden möchte. Ich habe darüber nachgedacht, ob man Wien mit einem Wort beschreiben kann, und fand es – dieses Wort ist „Unendlichkeit“.
– Was war für Sie während der Arbeit an dieser Ausstellung am interessantesten? Was war am schwierigsten?
– Die Vorbereitung auf die Ausstellung ist ein äußerst faszinierender Prozess. Er umfasst nicht nur Kreativität, sondern auch vieles andere, einschließlich des Umgangs mit Menschen. Unserem Projekt mit Maria haben sich talentierte Musikerinnen angeschlossen: Larisa Bunakova (Klavier), Victoria Slobodina (Sopran) und Dzhanna Bayseitova (Klavier). Live-Musik hat die Ausstellung ergänzt und verschönert.
Das Schwierigste war wahrscheinlich, nach der Ausstellung das Tempo zu verlangsamen, wenn alles vorbei ist. Es ist nicht leicht, lange zu entspannen, aber das wird nicht passieren – ich denke schon über neue Projekte nach.
– Beeinflussen Ihre kulturellen Wurzeln die Auswahl der Themen und Ansätze bei der Erstellung von Werken?
– Selbstverständlich beeinflussen Sie sie. Ein Künstler stellt immer sich selbst, seine innere Welt dar. Du zeichnest scheinbar eine Wiener Skizze – und plötzlich begreifst du, dass im Hintergrund „das Gepäck durchscheint“, das lange vor dem Umzug nach Österreich erworben wurde.
– Welche Künstler oder Stile haben den größten Einfluss auf Ihre Arbeit gehabt?
– Am Himmel der bildenden Kunst strahlen viele helle Sterne. Anerkannte Künstler mit weltweitem Ruf – sie alle sind interessant. Und jeder Stil hat seine eigene Anziehungskraft. Ich denke, es lohnt sich nicht, sich auf etwas Bestimmtes zu versteifen oder jemanden besonders herauszuheben. Und unter Einfluss zu geraten lohnt sich auch nicht. Meiner Meinung nach sollte man Eindrücke sammeln, hart arbeiten und sein Eigenes schaffen.
– Welche österreichischen Künstler oder Kunststile liegen Ihnen am nächsten?
– Ich mag Vertreter der Wiener Secession: Gustav Klimt und Max Kurzweil. Unter den zeitgenössischen Künstlern: Christian Ludwig Attersee, Arik Brauer, Hubert Schmalix.
– Die Aquarelle in der Ausstellung wurden von Zitaten von Goethe, Kaiser Franz Joseph I. und anderen begleitet. Wie beeinflussen Ihrer Meinung nach diese Zitate die Wahrnehmung und Interpretation Ihrer Arbeiten?
– Viele Orte in Wien sind auf die eine oder andere Weise mit bekannten Persönlichkeiten verbunden. Ein Zitat oder ein Gedicht verstärken meiner Meinung nach den Eindruck vom Gesehenen und füllen ihn mit mehr Bedeutung. In seinem Artikel „Über das deutsche Baugewerk“, veröffentlicht im Jahr 1773, verglich Goethe eine gotische Kirche mit „einem hocherhabnen, weitverbreiteten Baume Gottes, der mit tausend Ästen, Millionen Zweigen und Blättern, gleich dem Sand am Meer, ringsum der Gegend die Herrlichkeit des Herrn verkündet“. Dort schrieb Goethe auch, dass der gotische Stil „… das tiefste Gefühl von Wahrheit und Schönheit der Verhältnisse, wirkend aus starker, rauer, deutscher Seele…“. Und jetzt betrachte ich die gotische Architektur, zum Beispiel die Votivkirche, durch die Linse dieses poetischen Vergleichs.
Wenn ich in die Staatsoper gehe, denke ich immer an Kaiser Franz Joseph und Gustav Mahler – einen der bedeutendsten Symphoniker der Welt, der 1897 zum Direktor der Oper ernannt wurde. Damals verbot Mahler denjenigen, die zu spät kamen, den Einlass zur Aufführung. Die Besucherinnen beschwerten sich daraufhin beim Kaiser, worauf Franz Joseph diplomatisch antwortete: „Es gibt einen Direktor, ich kann einen Wunsch äußern, aber keinen Befehl erteilen.“
Früher kam ich fast in letzter Minute in die Oper, aber jetzt – niemals, ich habe sogar gelernt, eine halbe Stunde vor der Aufführung zu kommen.
– Welche Rolle spielt die Künstlergemeinschaft in Ihrem Leben?
– Gleichgesinnte ziehen sich gegenseitig an. Künstler sind größtenteils liebevolle, charmante Menschen, manchmal schüchtern, manchmal ein wenig verträumt. Da sie viel Zeit in ihrer Phantasiewelt mit Pinseln und Farben verbringen, ist ihre Wahrnehmung der Realität etwas anders als bei anderen Menschen. Wenn einem Künstler gesagt wird: „Kommen Sie auf die Erde zurück“, möchte man antworten: „Warum? Gerade im Himmel, in der eigenen kreativen Welt, ist es angenehm und gemütlich.“ Was man von Künstlern lernen kann, ist Originalität und manchmal auch die Leichtigkeit des Seins.
– Wie gehen Sie mit kreativen Blockaden um?
– Blockaden gab es bisher noch nicht. Im Gegenteil, es gibt eher einen Überschuss. Ich schaffe es kaum, eins abzuschließen, bevor das nächste umgesetzt werden möchte.
– Haben Sie irgendwelche Ziele oder Träume im Zusammenhang mit der Kunst?
– Ja, es gibt Träume und Ziele. Vor kurzem habe ich ein kleines Buch mit dem Titel „Das Bermuda-Dreieck mittelalterlicher Straßen“ veröffentlicht, das Prag gewidmet ist, wo ich fünf Jahre lang gelebt habe. Es ist ein poetischer Essay mit Illustrationen einer Künstlerin, die in der Hauptstadt Tschechiens lebt. Ich würde mich sehr freuen, wenn ein ähnliches Buch auch über Wien erscheinen könnte.
Es wäre schön, einfach nur zu leben und die „Antike Hauptstadt“ zu genießen, ihre Gewohnheiten zu übernehmen, die Musik wirklich zu lieben und mit aufrichtigem Interesse Ausstellungen zu besuchen, sozusagen die Verlagerung in eine Zeit der Vergoldung und des purpuren Samtes. Irgendwie natürlich, der allgemeinen Stimmung gehorchend, um in das Tempo des Adagios zu kommen. Nicht hetzen — sondern mithalten, nicht drängeln — sondern voraus sein.
Fragen stellte Julia Krech, Wien.
Liste der Veröffentlichungen in russischer Sprache
1. Die Geschichte vom Weihnachtsbaum, in: Neues Wiener Magazin, 12, 2008, S. 20-21.
2. Dezember auf die Wiener Art, in: Albion & Welt, 5, 2009, S. 6.
3. La Femme… Alphonse Muchas Frauen und die Fantasien des Jugendstils, in: Artek, 6, 2010, S. 24-27.
4. Wunder der Welt auf dem Hochplateau der Prosa, in: Albion & World, 5, 2010, S. 8.
5. Femme fatale in warmen Tönen, in: Telegraph. Vokrug Sveta, https://www.vokrugsveta.ru/telegraph/history/1101/.
6. Spiegel der antiken Hauptstadt, in: Telegraph. Go Krug Sveta, 17.01.2011, https://www.vokrugsveta.ru/telegraph/globe/1305/.
7. Dezember auf die Wiener Art, in: Neues Wiener Magazin, 12, 2013, S. 24-25.
8. Emigrant, in: Shire Krug, 1, 2014, S. 74-75.
9. Die antike Hauptstadt. Wien, in: Neues Wiener Magazin, 1, 2014, S. 6-10.
10. Minoritenkirche. Verlorene Illusionen und gefundene Bedeutungen, in: Neues Wiener Magazin, 3, 2014, S. 6-9.
11. Die Geschichte eines Porträts, in: Neues Wiener Magazin, 6, 2019, S. 22-23.
12. Fluss der Zeit. Ringstraße, in: Neues Wiener Magazin, 11, 2019, S. 8-11.
13. Spiegel der antiken Hauptstadt, in: Neues Wiener Magazin, 12, 2019, S. 6-9.
14. Ein Stück des Mittelalters. Kirche St. Ruprecht, in: Neues Wiener Magazin, 2, 2020, S. 6-9. 15. Die Pestsäule, in: Neues Wiener Magazin, 5, 2020, S. 20-23.
16. Die Wachau in Blues-Stimmung, in: Neues Wiener Magazin, 10, 2021, S. 10-14.
17. Wunder auf dem Mariahilferberg, in: Neues Wiener Magazin, 11, 2021, S. 6-9.
18. Das Dreieck an der ungarischen Grenze. Halbturn – Frauenkirchen – Podersdorf am See, in: Neues Wiener Magazin, 1, 2022, S. 8-12.
Liste der Veröffentlichungen in deutscher Sprache
1. Ernst Neufert, Bauentwurfslehre. Berlin 1936, in: Symmetrie und Eurhythmie. Proportion und ihre Wahrnehmung in der Architektur, hg. von Kirsten Pilling, Facultas Wien 2021.
2. Weihnachtliches Nürnberg, in: Aus fränkischer Feder. AutorenVerband Franken, 22.11.2021.