
Directed by Tim Burton, biographical drama, USA, 2014, 106 min.
Der Titel des Films mag sofort an die populäre Redewendung erinnern: “Die Augen sind der Spiegel der Seele”. Aber für mich beschwor der Begriff “Big Eyes” eine Vision aus meiner Kindheit herauf. Damals war ich etwa zwölf Jahre alt und fuhr mit dem Stadtbus. In meiner neuen blauen Frühlingsjacke wirkte ich unwiderstehlich auf mich selbst. Ich musste stehen, während sich ein junges Paar vor mich setzte. Ich hörte, wie ein Mädchen dem jungen Mann ins Ohr sagte: “Schau, wie groß die Augen dieses Mädchens sind!” Ich tat so, als hätte ich nichts gehört, und starrte angeblich aus dem Fenster, aber ich spürte, dass sie mich ansahen. Ich öffnete meine Augen so weit wie möglich, um sie nicht zu enttäuschen, und versuchte, sie so zu lassen. Das war gar nicht so einfach. Jetzt erinnere ich mich an ein Zitat aus Somerset Maughams Roman “Das Theater”: “Halte niemals unnötig inne. Aber wenn Du eine Pause machts, halte sie so lange wie möglich”. Damals war ich noch nicht mit einem meiner Lieblingsliteraturwerke vertraut, und ich machte die ganze Zeit große Augen.
Zwei Tage bevor ich im Internet auf den Titel des Films Big Eyes stieß, träumte ich von einem kleinen Mädchen, einer Erstklässlerin, die in der Klasse am Tisch sitzt. Das Mädchen hatte unnatürlich große Augen und lange, dichte Wimpern — und dieses Mädchen war ich.
Ich sah dieses Zusammentreffen von “Zeichen” als ein wichtiges Signal für mich, und so schaltete ich den Film an diesem Abend ein.

Bei Big Eyes geht es um Kitsch, und der Film selbst ist bis zu einem gewissen Grad Kitsch — triviale Schönheit. Die Augen des Zuschauers leuchten von der Entourage der 50er und 60er Jahre: Die Hauptdarstellerinen haben aufwendige Frisuren, feminine Outfits, die Aufnahmen sind farbenfroh. Die Handlung dreht sich um ein modernes künstlerisches Umfeld und entwickelt sich vor dem Hintergrund unterschiedlichster und scheinbar unvereinbarer Themen: Welche Kunst interessiert den modernen Betrachter? Wie beeinflusst die Werbung den Geschmack der Verbraucher? Welche Rolle wird den Frauen in der Gesellschaft zugewiesen? Wenn sich die Handlung entfaltet und in einem Happy End gipfelt, mag der Film etwas naiv oder sogar unglaubwürdig erscheinen. Auch wenn die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht!

Das Vorbild der Hauptfigur, der charmanten Blondine Amy Adams, ist die amerikanische Künstlerin Margaret D. H. Keane (1927). Sie stellte Kinder, Frauen und Tiere mit großen Augen dar und wurde mit Postern, Tassen und anderen Souvenirprodukten mit Drucken ihrer Werke märchenhaft reich. Ihre großäugigen Figuren wurden als Zeichentrick- und Filmfiguren kopiert. Margaret Keen erregte die Aufmerksamkeit des Regisseurs Tim Burton nicht nur durch ihre originelle Fantasie, sondern auch durch die Detektivgeschichte ihres Lebens. Darüber hinaus war Burton ein Sammler ihrer Gemälde (und auch ein Sammler anderer „Kuriositäten“). Margaret Kean war stark von Amedeo Modigliani beeinflusst — ein Punkt, der auch im Film vorkommt. Und die Künstlerin selbst, in respektablem Alter, ist im letzten Bild zu sehen.
Kitsch wurde und wird oft kritisiert. Der Kitsch — die sentimentale Geschmacklosigkeit — hat Einzug in das moderne Leben gehalten — und das nicht nur beim Durchschnittsmenschen. Bunter, hübscher Schnickschnack hat sich in den Wohnungen eingenistet, nutzlose Souvenirs überschwemmen die Touristenorte. Lächelnde Katzen, Hunde, Zwerge, Magnete und Schlüsselanhänger mit schönen Motiven sind zu Massenprodukten und Konsumgütern geworden. Aber wer würde es heute noch wagen, die Werke von Pop-Art-Künstlern wie Andy Warhol, Yayoi Kusama, Roy Lichtenstein und Jeff Koons als geschmacklos zu bezeichnen? Der Kitsch scheint eine eigene Ausdifferenzierung erfahren zu haben: von niedrig bis hoch, von den vermeintlichen Glücksschweinen zu Silvester bis zu Andy Warhols chromatischer Marilyn Monroe.
Nach dem Film habe ich mir die Arbeit von Margaret Keane angesehen. Als ich ein Bild sah, stockte mir der Atem: Es zeigte ein Mädchen mit großen Augen, das dem Mädchen aus der ersten Klasse in meinem Traum sehr ähnlich war (der Traum war dem Film vorausgegangen). Hatte sich der Kitsch in mein Unterbewusstsein eingeschlichen?